Vor fünf Jahren tauchte der mutmaßliche Milliardenbetrüger und Putins Meisterspion unter. Die „Krone“ hat brisante Details zu seinem Verschwinden.
Das Il Sogno. Feines italienisches Restaurant mitten in München. Es ist der 19. Juni 2020. Ein Mann steigt in ein Taxi. Es geht Richtung Österreich. Nach Bad Vöslau. Dort gibt es einen Flughafen. Der zählt zum großen Flughafen Wien/Schwechat. Der Mann steigt in einen Jet. Er ist der einzige Fluggast. Er fliegt nach Minsk. Es ist der Wiener Jan Marsalek, Jahrgang 1980. Mutmaßlich Milliardenbetrüger als Manager von Wirecard. Einer der „Most Wanted“ weltweit. In Großbritannien und Deutschland laufen gerade Prozesse gegen Mitbeschuldigte, darunter ein weiterer Top-Manager aus Österreich, Markus Braun. Es gilt für alle Beteiligten die Unschuldsvermutung.
Offizielle Ausreise und überraschte „Mithelfer“
Seit nun exakt fünf Jahren ist Marsalek verschwunden. Die Details und Hintergründe, die der „Krone“ berichtet wurden, offenbaren Abgründe. Und stellen die offizielle Version einer plötzlichen und unerwarteten Flucht – höflich formuliert – infrage. Laut involvierten Personen und Insidern sowie Unterlagen von Behörden ist Marsalek zwar untergetaucht. Aber es war de facto eine „Flucht, die keine war“. Er ist offiziell ausgereist. Das belegen Dokumente. Das sagen Leute, die die letzten Stunden des Jan Marsalek vor seinem Verschwinden begleitet und offenbar teils unwissentlich mit orchestriert haben. Einer davon ist Thomas Schellenbacher. Der ehemalige FPÖ-Politiker gilt als Beschuldigter. Er soll die „Flucht Marsaleks begünstigt haben“. Die der „Krone“ vorliegenden Informationen zeigen ein anderes Bild.
Deutsche Justiz vermutete ihn auf den Philippinen
Ein Haftbefehl gegen Jan Marsalek wurde am 22. Juni 2020 gestellt. Inklusive 16 Durchsuchungsaufträgen. An diesem Tag, also drei Tage nach (!) der „Flucht“, wird in einem Mailverkehr deutscher Justizbehörden festgehalten: „Braun will sich noch heute stellen und soll in die Haftanstalt des PP München verbracht werden; Gleiches gilt nächste Woche für den Beschuldigten Marsalek.“ Weiters heißt es, Marsalek halte sich zurzeit auf den Philippinen auf, um dort eigene Recherchen anzustellen, wo das viele Geld verblieben sei. Er wolle sich nächste Woche in Deutschland der Staatsanwaltschaft stellen. Es kam ganz anders.
Marsalek, der über mehrere Identitäten verfügen soll, reiste an diesem Tag mit seinem originalen Reisepass aus. Ohne kontrolliert zu werden. Angesichts der offiziellen Darstellungen – eine Behörden-Groteske der speziellen Art. Und sollte auch die mutmaßlichen „Fluchthelfer“ wie Schellenbacher entlasten. So sieht es auch dessen renommierter Anwalt Marc Gollowitsch. „Es gab von Beginn an weder einen objektiven noch subjektiven Tatverdacht. Nicht zuletzt ergibt sich dies durch die Ergebnisse des Untersuchungsausschusses in Deutschland zu Wirecard, die auch den österreichischen Behörden vorliegen. Das verfolgte Delikt ist in keinem Tatbestandsmerkmal nur ansatzweise erfüllt.“
Genaue Dokumentation
Schellenbacher hat alles genau dokumentiert: „Am 19. Juni, 9.31 Uhr, kommt die Nachricht, dass Jan Marsalek fliegt und nicht, wie ursprünglich vorgesehen, eine andere Person.“ Der ehemalige hochrangige Nachrichtendienstmitarbeiter Martin Weiss zählt auch zu jenen, die Marsalek zur unbehelligten Ausreise verholfen haben sollen. Er hält sich in Dubai auf. Die Emirate haben kein Auslieferungsabkommen mit Österreich oder Deutschland. Schellenbacher: „Marsalek wollte den Flughafen herrichten lassen für größere Flieger. Die Landebahn hätte man um 200 Meter verlängern wollen.“ Schellenbacher habe Pläne dafür entwickelt und eine Mappe zur Präsentation angelegt. Diese Mappe sowie Fotos des Abfluges Marsaleks liegen der „Krone“ vor. Ebenso den Ermittlern. Schellenbacher sei ursprünglich mitgeteilt worden, dass ein Schwede osteuropäischer Herkunft nach Minsk abfliegen sollte. Dessen Pass sei gefälscht gewesen.
Drei Reisetaschen, null Kontrolle
Brisant: Marsaleks drei vollgepackte Reisetaschen seien nicht kontrolliert worden. Schellenbacher: „Der Flieger ging um 19.53 Uhr. Ich habe den Abflug gesehen und mittels Handy festgehalten.“ Polizei und Zoll seien um 15 Uhr vor Ort gewesen und dann gleich wieder weggefahren. „Ich war den ganzen Tag dort, weil wir den Hangar herzeigen wollten. Jan war der einzige Fluggast.“
Jan Marsalek kam mit einem Taxi angereist und ging mit seinen drei Reisetaschen, ohne kontrolliert zu werden, ins Flugzeug. Er war der einzige Fluggast.
Thomas Schellenbacher, mutmaßlicher „Fluchthelfer“ eines der „Most Wanted“
Jan hatte aber weder Zeit noch Lust auf Besichtigungen. Er wurde zunächst nach Minsk geflogen. Fotos der Piloten zeigen den Anflug auf die weißrussische Hauptstadt. Danach verlieren sich die Spuren. Er soll auch für Russland spioniert und dabei Hilfe aus dem österreichischen Nachrichtendienst gehabt haben (von Weiss und vom mittlerweile angeklagten Ex-Geheimdienstler Egisto Ott).
Wo sich Marsalek aktuell aufhält, ist ungewiss. Laut „Krone“-Infos pendelt er quasi zwischen Russland und Dubai. Westliche Geheimdienste berichten überdies, dass der Wiener von den Emiraten aus für den Kreml Wagner-Söldner rekrutieren soll.
Kommentare
Willkommen in unserer Community! Eingehende Beiträge werden geprüft und anschließend veröffentlicht. Bitte achten Sie auf Einhaltung unserer Netiquette und AGB. Für ausführliche Diskussionen steht Ihnen ebenso das krone.at-Forum zur Verfügung. Hier können Sie das Community-Team via unserer Melde- und Abhilfestelle kontaktieren.
User-Beiträge geben nicht notwendigerweise die Meinung des Betreibers/der Redaktion bzw. von Krone Multimedia (KMM) wieder. In diesem Sinne distanziert sich die Redaktion/der Betreiber von den Inhalten in diesem Diskussionsforum. KMM behält sich insbesondere vor, gegen geltendes Recht verstoßende, den guten Sitten oder der Netiquette widersprechende bzw. dem Ansehen von KMM zuwiderlaufende Beiträge zu löschen, diesbezüglichen Schadenersatz gegenüber dem betreffenden User geltend zu machen, die Nutzer-Daten zu Zwecken der Rechtsverfolgung zu verwenden und strafrechtlich relevante Beiträge zur Anzeige zu bringen (siehe auch AGB). Hier können Sie das Community-Team via unserer Melde- und Abhilfestelle kontaktieren.